Die zwei Holzbänke auf einem schmalen Wiesenstreifen sind mit Graffiti bekleckert, hinter mir rauscht die Autobahn A113 und neben den Bänken zwei in den Boden gerammte Eisenpfähle mit zwei angeschraubten Informationstafeln in der Größe eines Schuhkartons.
Ich befinde mich im ehemaligen Ostberliner Grenzgebiet am Teltowkanal direkt an der Massantebrücke, welche den Teltowkanal überspannt und einst mittig die Grenzlinie zwischen Ost und West darstellte. Interessiert lese ich die beiden Informationstafeln, die vom Tod von zwei Grenzsoldaten auf der Ostseite berichten.
Der eine, ganze 20 Jahre jung, wollte im Dezember 1961 über die unterhalb der Brücke befindlichen Stahlrohkonstruktion auf die Westseite flüchten, rutschte jedoch ab, fiel ins eiskalte Wasser und ertrank. Der andere, 22 Jahre jung, wurde beim Wachdienst mit einem weiteren Grenzsoldaten von drei fluchtwilligen DDR Bürgern mit Eisenstangen angegriffen und erlitt dabei einen Schädelbasisbruch, an dessen Folgen er zwei Wochen später verstarb. Die flüchtigen Angreifer verschwanden unerkannt im Westteil der Stadt.
An dieser für die Beiden schicksalhaften Stätte sind keine Touristen zu sehen, wie sie an der Bernauer Straße oder am Checkpoint Charlie in Kohortenstärke aus aller Herren Länder einfallen, wo sich die zwei großen siegreichen Militärmächte mit ihren unterschiedlichen politischen Ideen waffenstarrend gegenüber standen und Millionen von Menschen in den zerbombten Städten nach der großen Menschenschlacht auf diese Stadt Berlin schauten, voller Bangen ob der brüchige Frieden halten würde.
Hier am Teltowkanal ist nichts zu sehen von einem Mauermuseum, kein Dokumentationszentrum und keine Gedenkstätte, kein guter Platz für Souvenierhändler von Kram und Krempel und Fälschungen aus der Zeit von hüben und drüben, kein Hinweis darauf, dass auch hier Weltgeschichte auf Leben und Tod vollstreckt wurde.
Da sitze ich also nun, 28 Jahre nach der Beseitigung der innerdeutschen Grenze auf einer der zwei Holzbänke, nehme zwar die Geschichte zur Kenntnis, aber mir erwächst keine Erkenntnis oder gar Verständnis dafür. Ein Zitat von Albert Einstein kursiert mir durch den Kopf, der da meinte, dass es nur zwei Formen der Unendlichkeit gäbe. Die Erste wäre die Dummheit der Menschen und die Zweite wäre das Universum. Bei der Zweiten wäre er sich aber nicht so sicher.
Die Raumzeitkrümmung des Herrn Einstein ist zwar immer noch prinzipiell up to date, aber die Zeiten ändern sich und nun geht es freiheitlich und sportlich auf dem glatt planierten Asphaltweg entlang des Teltowkanal zu. Rollerscater und Radrennfahrer eilen in professionell gestylter, windschlüpfriger Outdoorfashion über den Asphalt, ein Pärchen auf Rollschuhen schiebt in schnittigem Tempo einen Kinderwagen vor sich her und ein betagter Mann fährt seine zwei hechelnden Möpse in einem Körbchen mit einem historischen DDR- Fahrrad der Marke „Diamant„ spazieren. Große Lastkähne tuckern voll beladen fast im Schritttempo durch den Kanal und wenig später folgt ihnen eine kleine Motorjacht, auf deren Vordeck sich luftig bekleidet zwei Frauen in der Sonne räkeln. Mein letzter Eindruck des Tages sind zwei Graureiher, die mit kräftigen Flügelschlägen einträchtig nebeneinander dem Kanalverlauf folgen und bald aus meinem Sichtfeld verschwinden.
von MiRi
Wegbeschreibung
S Schöneweide – Linienbus M11 Richtung Dahlem-Dorf – Ausstieg Stubenrauch Straße – Überquerung Autobahnbrücke der A113
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