Lichtermarkt am Rathaus Lichtenberg

Quittengelee von den Anonymen Alkoholikern (Weihnachtsspecial II)

Den Termin kann man sich leicht merken. Der Weihnachtsmarkt findet immer am 1. Advent statt von 14 bis 18 Uhr am Rathaus in der Möllendorfstraße. Da es mit dem Fahrrad von mir nur 10 Minuten bis dahin sind, bin ich meist jedes Jahr dabei. Meinem Freund gefällt es dort auch.
Der Glühwein kostet wohl bloß 50 Cent und die Bratwurst, wenn man denn eine erwischt, 1€. Es gibt viele Stände von Projekten wie die oben erwähnten Anonymen Alkoholikern, von Kinderprojekten wie der Arche, von Seniorentreffs usw.. Die Suppenküche vom Kloster Pankow ist auch dabei und verkauft Kekse, die wohl von den Franziskanermönchen dort gebacken wurden.
Ich habe dort schon bergeweise gehäkelte Weihnachtsmänner, selbst gebaute Vogelhäuschen und solche Sachen für den guten Zweck erstanden, so dass ich bald nicht mehr weiß wohin damit. Zum Wegschmeißen hat man auch nicht das Herz, da alles Handarbeit ist. So hängt ein häßlicher Riesenengel aus Filz, der von Psychiatriebetroffenen gebastelt wurde, jedes Jahr an unserem Weihnachtsbaum, ein gehäkelter Weihnachtmann baumelt immer bei mir am Küchenfenster, eine Laubsägearbeit klebt an der Scheibe, und das ist noch lange nicht alles. Man hat sich schon irgendwie an das kitschige Zeug gewöhnt. Ich finde Weihnachten und guter Geschmack, das beisst sich irgendwie.
Mir kommt es so vor, als wenn sich der Weihnachtsmarkt jedes Jahr mehr Terrain erobert. Jetzt hat er sogar schon ein großes Stück von der Normannenstraße okkupiert. Ich möchte noch bemängeln, dass es zwar haufenweise Glühwein und selbstgebackenen Kuchen gibt, aber wenn überhaupt höchstens einen Bratwurststand für den großen Markt, und dort reisst man schon um 17 Uhr 30 die Holzkohle unter dem Grill raus.
Beim Schlendern über den Weihnachtsmarkt wird mir schmerzlich bewußt, dass ich nach 37 Jahren immer noch keine richtige Berlinerin bin. Alles geht mit Familie, Kindern bzw. Enkelkindern spazieren und Oma wird im Rollstuhl geschoben, aber ich bin in dieser Hinsicht in dieser Stadt wohl nie angekommen. Bloß keine sentimentalen Gefühle aufkommen lassen.
Vor dem Eingang des Rathauses wird immer eine kleine Bühne aufgebaut. Ich habe dort schon viele ehemalige DDR Schlagersänger gesehen, die ich zu DDR Zeiten gründlich gehasst habe wie Thomas Lück, Andreas Holm, Gaby Rückert, Uwe Jensen und so weiter, also die üblichen Verdächtigen, die einen am Sonnabendabend im Schlagerstudio und im Kessel Buntes immer angeödet haben. Bloß Frank Schöbel hat sich noch nicht blicken lassen.
Mein Sinn stand damals wie heute nach Bands wie Canned Heat, Deep Purple, den Rolling Stones und nicht nach diesen Schlagerfuzzis. Mittlerweile sehe ich das entspannter. Ich sehe, wie die Leute rund um uns her mitsingen und fröhlich sind. Man muss auch andere Musikgeschmäcker akzeptieren. Außerdem erinnern mich diese Künstler an Kindheitssonnabende, an denen ich länger vor dem Fernseher sitzen durfte. Viele der ehemaligen DDR Künstler haben nach der Wende ja auch einen Bruch erlebt.
Ein einziges Mal habe ich auf dem Lichtermarkt Musik gehört, die mein Ding war. Eine Skiffleband spielte, obwohl schon im Rentneralter, beachtlich gut Blues und Jazz. Sie haben sogar eine Supercoverversion von Honky Tonk Woman von den Stones draufgehabt. Es handelt sich übrigens um das Wedding Skiffle Orchestra. Aber merkwürdigerweise war ich wohl die einzige im Publikum, der das gefallen hat. Gute Musik und Weihnachten das beisst sich wohl auch.
Übrigens die kleine Lisa Wohlgemut aus dem Erzgebirge, die bei DSDS Zweite geworden ist, war auch schon da. Ein kleines Mädchen von höchstens 4 Jahren zeigte ein erstaunliches Rhythmusgefühl beim Mitsingen und Tanzen und trällerte alle Lieder von Lisa mit. Sie schmetterte textsicher Am Morgen immer müde und Elektrisches Gefühl heraus. Sogar die englischen Sachen wie I follow rivers konnte sie. Die Umstehenden sind verblüfft und ihre Eltern stolz wie Bolle. Wächst da etwa eine kleine Helene heran oder besser eine kleine Janis?
Ein älterer Herr im grünen Jägermantel mit schlohweißem Haupthaar und ebensolchem Bart, Typ armer Künstler, bietet mir für 10 € eine CD mit seinen Gedichten an. Ich kaufe eine, da ich vermute, dass er völlig pleite ist. Vielleicht habe ich ja dem Weihnachtsmann himself das Abendessen gesichert. Die Band nimmt auch eine CD und gibt ihm im Gegenzug dafür eine von ihren. Jahre später habe ich die CD mal aufgelegt und festgestellt, dass seine Gedichte eigentlich ganz gut sind.
Eine 89 jährige ältere Dame erzählt mir während des Auftritts von Uwe Jensen, dass sie ein beinharter Fan ist und ihm sogar zu Auswärtskonzerten hinterherreist, so wie wir früher immer Freygang hinterhergefahren sind. Die Musik scheint sie jung gehalten zu haben, denn sie sieht 20 Jahre jünger aus als sie ist. Als ich ihr das sage, freut sie sich.
Rechterhand vom Rathaus Lichtenberg war noch ein kleiner Zoo aufgebaut worden, wobei jemand der vom Dorf kommt wie ich mal wieder gar nicht begreifen konnte, was die Berliner mit Tieren für ein Gewese machen. Alles, Alt und Jung, versucht die Schafe und Ziegen und die Kaninchen und Meerschweinchen zu kraulen. Sogar ein Lama ist extra angefahren worden. Nach 18 Uhr besteigt das Lama einen PKW -Anhänger, steckt seinen langen Hals aus dem Verdeck raus und schaut neugierig herab auf die hinterherfahrenden Autos auf der stark befahrenen Möllendorfstraße.
Man muss noch erwähnen, dass nach dem Weihnachtsmarkt noch jedesmal im Rathaus Lichtenberg ein Konzert stattfindet.
Wenn wir am Ersten Advent abends vom Weihnachtsmarkt nach Hause gekommen waren, hörten wir traditionell immer die erste Folge der Hörspielreihe Das schöne Geschenk auf Radio Eins, die immer an den Adventssonntagen gesendet wird. Letztes Jahr waren die Abenteuer von Käptn Blaubär an der Reihe, die einen Kumpel von mir, der mit fast 60 eigentlich nicht mehr der Zielgruppe von Käptn Blaubär entspricht, total begeistert haben.
Dieses Jahr scheint es diese Hörspielreihe leider nicht mehr zu geben. Da wird dieser Radiofreak und Fernseh- und Internetverächter wohl enttäuscht sein.

Ein frohes Fest und einen schönen Dritten Advent wünscht Euch unsere Lieblingsortetruppe.

PS Übrigens das Qittengelee, das die Anonymen Alkoholiker gekocht haben, hat super geschmeckt und auch ihr Schmalzfleisch ist zu empfehlen.

von Tanja

Wegbeschreibung
Von S- Bahnhof Ostkreuz nach rechts die Neue Bahnhofstr., geradeaus die Gürtelstraße bis zur Kreuzung Frankfurter Allee und dann die Möllendorfstraße hoch. Das Ziel befindet sich auf der rechten Seite.