Zwischenpumpenwerk Lichtenberg an der Landsberger Allee

Zu Besuch im Märchenland oder Der schönste Betrieb von ganz Berlin

Das Wasserwerk trat erstmalig in mein Bewußtsein, als ich vor 35 Jahren von der Ostsee nach Berlin zurücktrampte. Bei der Einfahrt in die Stadt fiel mir ein riesengroßes, märchenhaftes, aus der Zeit gefallenes, rotes Backsteinensemble auf.
Ich habe später immer wieder gegrübelt, wo das wohl gewesen sein könnte, bis ich vor ein paar Wochen die Landsberger Allee in Richtung Marzahn runterfuhr, verpaßte in den Weißenseeer Weg rechts einzubiegen und stattdessen geradeaus weiterfuhr.
Rechts der Landsberger erstreckt sich die herrliche, so zirka schon 130 Jahre alte Backsteingotik der Berliner Wasserwerke, die mir schon vor 35 Jahren aufgefallen war. Das völlig aus der Zeit gefallene architektonische Ensemble könnte auch als Gedicht in Backstein bezeichnet werden. Die Arbeiter, die hier täglich ihrer Arbeit nachgehen oder die Leute, die daran vorbeifahren, haben sich an den Anblick gewöhnt, aber für mich stellt er immer noch einen außergewöhnlichen Augenschmaus dar.
In dieser verwunschenen roten Stadt aus lauter niedlichen, kleinen Backsteinhäuschen im Zuckerbäckerstil, die das Wasserwerk ja ist, erwartet man jederzeit, dass Scheewittchen und die 7 Zwerge auftauchen und Dornröschen aus dem Schlaf erwacht. Das Gelände hätte gut als Hollywoodkulisse für einen Märchenfilm dienen können.
Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein, aber tatsächlich wird hier noch gearbeitet. Die Anlage aus dem 19. Jahrhundert erfüllt ihren Zweck immer noch und scheint für die Ewigkeit gebaut worden zu sein.
Berlin ist nun mal von roten Backsteingebäuden geprägt, das ist unser Wahrzeichen. Überall trifft man auf die roten Ziegel, die ein vertrautes Heimatgefühl in einem auslösen. Leider schwinden diese roten Bauten mit den Jahren immer mehr dahin, d. h. sie fallen der Abrißbirne zum Opfer.
Es gibt aber auch Berliner, die sich dagegen wehren, dass ihre Stadt gesichtslos wird und ihre Industriehistorie verliert. Vielen jüngeren Berlinern erscheinen die Architekturbewahrer als geifernde, ältere Herrschaften, die die Zeit aufhalten wollen, im Gestern verhaftet sind und der Jugend neue Wohnungen und Arbeitsplätze vermiesen wollen, bloß um so ein paar alte Schuppen zu erhalten. Wie schon beim Kampf gegen den Abriß der Gasometer (geheimnisvolle, ungewöhliche Bauwerke, die an griechische Amphitheater erinnert haben im Prenzlauer Berg, die mir früher immer freundlich Guten Tag gesagt haben, wenn ich mit der S- Bahn vorbeifuhr) scheinen die anderen die besseren Karten zu haben.
Es blutet mir immer das Herz, wenn wieder so ein gutmütiger roter Riese in die Knie gezwungen wird, wie jetzt z. B. die Alte Brauerei in Friedrichshain. Der pragmatische, materiell eingestellte Berliner denkt nicht daran, dass diese Denkmäler der Industriearchitektur ja von ihren Vorvätern in harter Fronarbeit auf ungesicherten Gerüsten und wackligen Leitern erbaut wurden. Mühselig musste Ziegel auf Ziegel gesetzt werden.
So sind die alten Backsteinfabriken weniger ein Denkmal für den Fabrikherren, sondern mehr für die Arbeiter, die diese Gebäude schufen, die nach über 100 Jahren noch unser Auge erfreuen und uns von einer vergangenen Zeit, in der unsere Vorfahren lebten, erzählen, wenn wir denn bereit sind ihnen zuzuhören. Ihre Mauern sind mit Arbeiterschweiß durchtränkt und künden von harter Schufterei an den Maschinen.
Vielleicht bekommt man ja erst ein Gefühl für die Vergangenheit wenn man älter geworden ist.
Zum Schluß sei noch schnell eine Lanze gebrochen für diejenigen, die mit ihren Kameras bei Tag und bei Nacht ausschwärmen, um die übriggebliebenen Reste der alten Industrieanlagen wenigstens noch auf Fotos und Videos zu erhalten. Sie schleichen sich auf leisen Sohlen an Pförtnerlogen vorbei, Schilder mit der Aufschrift „Betreten strengstens verboten, bei Zuwiderhandlung wird scharf geschossen“ (Scherz), ignorieren sie furchtlos, steigen in Kellerluken ein und tasten sich mit der Taschenlampe dunkle Gänge entlang und wacklige Treppenstufen herab. Sie folgen grasüberwachsenen Gleisen, die ins Nirgendwo führen, fotografieren einsame Bahnwärterhäuschen, umgekippte Loren und Fabriken, die im Dornröschenschlaf liegen. Die Ergebnisse ihrer mutigen Recherchen kann man auf You Tube ansehen.

von Tanja

Wegbeschreibung
S- Bahnhof Landsberger Allee