Späth-Arboretum

Ein Trockennasenprimat in der Baumschule

Wissenschaftlich betrachtet bin ich ein Trockennasenprimat und meine Gene sind circa zu 50 Prozent identisch mit denen einer Banane.
Meine synaptischen Verknotungen in der neuronalen Hirnverstrickung ähneln den gigantischen Wurzelausbreitungen ganzer Wälder und riesigen Pilzverflechtungen unter dem Waldboden. Ob nun Schöpfung oder Evolution und was immer man unter persönlichem Naturell versteht, dem Gesamtwerk aus Himmelhoch und Höllentief aus Potzblitz und Donnerwetter können wir uns natürlich nicht entziehen.
Vom Urknall erweckt, von Ursuppe ernährt, oder ob unsere Stammeltern am Apfelbaum der Erkenntnis von Gut und Böse kläglich gescheitert und mit Ursünde beladen nackt aus dem Paradies geschmissen - wie auch immer -, die Menschheit schleppt seine derweil siebeneinhalb Milliarden Stammbäumchen tapfer über den Acker des Lebens und ist in Gedanken mehr bei seinem Krönchen der Schöpfung, als bei den Wurzeln der Erkenntnis, deren er sich stets rühmt. Noch stehen die von ihm weltweit geschätzten 3 Billionen Bäume auf ihren Pfahl-, Flach- oder Herzwurzeln und berichten sich untereinander von den bösen Waldgeistern, die ihren hölzernen Artgenossen mit blitzender Axt und plärrender Kettensäge den Garaus machen. Der höchste Baum der Welt mit 116 Meter Wuchshöhe, der schwerste Baum mit 1385 Tonnen Lebendgewicht und der älteste unter ihnen mit 80 Tausend Jahren an Standhaftigkeit, sind Ausmaße der größten Lebewesen auf unserem Planeten. Während die Baumkronen noch über den Menschen wipfeln, übt sich der Trockennasenprimat im Zukunft- Ergipfeln, in Nacht verzehrenden Gesprächen und angeblich zähem Ringen um den grünen Tisch herum. Rettet das Klima, die Weltmeere, die Ackerböden, das Grundwasser und die Wälder. Ein 10-Punkte-Programm wird erarbeitet, ein Paket geschnürt und auf den Weg gebracht. Zufriedene Gesichter der Delegation, denn bis 2048 in nur 31 Jahren wäre die Natur bis zu 46,8% wieder im Einklang mit sich und ihrer Biomasse und den Abraumhalden industrieller Ertüchtigungsarbeit schaffenserregter Vorzeit aus denen wieder blühende Landschaften und Hoppelhase und Bambi glücklich vereint, wie man im Fernsehen mit eigenen Augen in High Definition zu sehen bekommen wird.
Immerhin gibt es noch einige Schülergruppen, die im Gefolge vorbildlicher Lehrer in Zweierreihe in die Restpostenwälder stapfen, um den abgemurksten Waldboden mit bereits knöchelhoch gewachsenen Nadelbäumchen aufzufrischen oder es stehen die Wurzelbuben und Kräutermädchen auftragsgemäß mit Spendenbüchsen in Fußgängerzonen, wo sie den schwadronierenden Schnäppchenjägern an zehn Fingern vorrechnen, dass auch weiterhin jährlich etwa 7,5 Millionen Hektar Wald von Räuberkohorten „abgeerntet“ und in gigantische Areale monokultureller Pflanzenzombies umgestaltet, und als Viehfutter und Motorentreibstoff weltweit profitabel vermarktet werden.
Von profitabler Raffgier und einhergehender Zerstörungswut steht die Baumschule Arboretum im Berliner Stadtteil Treptow – Köpenick außer Verdacht. Jedermann kann zu den angegebenen Öffnungszeiten mit einem Obulus von einem Euro in den Schlitz einer grün angemalten Blechkiste versenkt das 3,5 Hektar messende Grundstück besuchen und sich dem einladenden Ambiente hingeben. An den schönsten Stellen das parkartigen Anwesens im Stil eines englischen Landschaftsgartens kann man sich auf Bänken niederlassen, die noch unberührt von den Vandalen der Berliner Graffitisprayer dezent platziert wurden und den Gesamteindruck der üppig angelegten Pflanzenwelt überhaupt nicht stören. Der im Jahre 1720 gegründete Familienbetrieb für Gartenbau galt um das Jahr 1900 als die weltweit größte Baumschule mit einem am Eingang befindlichen mondänem Herrenhaus, für den ab 1874 neuen Betriebseigner Franz Späth. Ein Steingarten sowie Arznei- und Gewürzpflanzengarten wurde sorgsam angelegt und letztlich auch ein Teich, der von einem Tiefbrunnen und Regenwasser gespeist und an dessen Ufer Seggen, Schilfrohr und Rohrkolben gedeihen. Gerade für Schulklassen gibt es viel zu lernen und etliches zum Staunen, da jede Blume, jede Hecke, jeder Baum mit seinem lateinischen Namen ausgeschildert ist und zudem ist zu erfahren, ob es sich um Nacktsamer, um Gymnospermer, um Angiospermer oder Bedecktsamer handelt, ob es Schmetterlingsblütler, kleinblütige Buchen, ob es holzige Rosengewächse oder kletternde Gehölze sind. Kurzum gesagt, ist der Park mit seinen über 130 verschiedenen Laub- und Nadelbaumarten sowie Sträuchern, Farnen und Gebirgspflanzen, mit mehr als 4000 Pflanzensippen auch ohne Wissensdurst ein Refugium an Form und Farbenpracht, sowie intensiven Wohlgerüchen, die einem manchmal befremdlich, aber doch irgendwie als bekannt durch den Hinterkopf wehen.
1963 erschien die erste Ausgabe des „Index Semininum„, ein Samenkatalog für den internationalen Austausch von Saatgut. Heute ist das Arboretum dem Institut für Spezielle Botanik an der Humboldt – Universität angegliedert und ist Bestandteil der Landesdenkmalliste des Berliner Senats.

von MiRi

Wegbeschreibung
Anfahrt : S-Bahn bis Baumschulenweg - dann Buslinie 170 oder 265 bis Späthstraße/Ligusterweg
oderBaumschulenweg/Königsheideweg