Kaufhaus am Ostbahnhof

Eine glückliche Jeanshosenbesitzerin

Wenn man aus dem Hinterausgang des Ostbahnhofs heraustritt, fällt das Auge sogleich auf ein kunterbuntes Hochhaus, das ehemalige Kaufhaus am Ostbahnhof. Das Kaufhaus ist in warmen Farben wie Orange und Hellblau gehalten und belebt die doch recht triste Gegend optisch.
Leider musste ich erfahren, dass das Kaufhaus wegen Unrentablität im Sommer 2017 geschlossen worden ist. Es soll wohl entkernt werden und als Bürogebäude dienen, wo es in Berlin ja auch so wenige Bürogebäude gibt. Viele Anwohner äußerten sich im Internet darüber sehr betroffen. Aber seid doch mal ehrlich Leute, wir haben ja auch Schuld, dass das Kaufhaus geschlossen worden ist. Warum kaufen wir so viel im Internet. Da können sich die Einzelhändler nicht halten und die Infrastruktur der Gegend geht den Bach runter.
Als ich das erste Mal in diesem Kaufhaus einkaufte, war an diese Probleme noch gar nicht zu denken. Es war wohl Ende der Siebziger, als in der Aktuellen Kamera die Einweihungsfeier gezeigt wurde. Ich glaube sogar Erich Honecker hat eine Rede gehalten. Die DDR hatte mit Hilfe der Schweden ein Kaufhaus auf westlichem Niveau errichtet.
Damals lebte ich im Lehrlingsinternat in Velgast bei Stralsund und benötigte unbedingt eine Cordhose. Das war zurzeit modisch der letzte Schrei, und in unserer Gegend gab es sowas absolut nicht zu kaufen. Eine Mitschülerin, die aus Berlin war, gab mir den Tipp, mich morgens vor das neue Kaufhaus anzustellen, weil die Berliner wußten, dass dann dort die Jeans geliefert wurden.
Gesagt, getan, also nahm ich Urlaub, stieg morgens in Stralsund in den Berliner Zug ein, und landete einige Stunden vor der Öffnung am Kaufhaus am Ostbahnhof an. Trotz der frühen Stunde stand hier schon eine große Menschenmenge. Ich befand mich auf einem guten Mittelplatz.
Langsam machte ich mir Sorgen, wie die Mitarbeiter die Tür öffnen wollten, ohne dass es Unfälle gab bei diesen Menschenmassen. Plötzlich ertönte eine Musik, der Kaufhausdirektor persönlich sagte ein paar Worte, drückte auf einen Knopf und wie durch Zauberhand öffnete sich die Tür. Hier sah ich das erstemal in meinem Leben eine Automatiktür.
Die Frage war auch, wie gelange ich eigentlich zur Jeansabteilung? Aber diese Sorge war völlig überflüssig. Die Menge trug mich die Treppen hoch. Die Schuhabteilung und die Untertrikotagenabteilung wurden links liegen gelassen. Auf einer Etage stockte der Menschenpulk. Tatsächlich war es die Jeansabteilung. Bergeweise schwarze Feincordhosen lachten mich an. Da ich einen guten Mittelplatz hatte, rechnete ich mir gute Chancen aus. Ein Maßband wurde solidarisch rumgereicht, womit sich jeder die Taille und den Hüftumfang maß, da es nach den westlichen Jeansgrößen ging. Die Ergebnisse der Messung waren damals, als ich erst 17 war, natürlich viel erfreulicher als heute. Nach einigen Stunden verließ ich dann wunschlos glücklich das Kaufhaus. Endlich konnte ich in meinem Lehrlingsinternat wieder modisch mitreden.
Wenn man so bedenkt, dass für einen damals die Kleidung so eine Bedeutung hatte, dass man die mehrstündige Zugfahrt von Velgast nach Berlin, die ja auch nicht billig war, nur wegen einer Hose unternommen hat, komme ich auch ins Grübeln. Ich ging dann aber natürlich noch in den Alexgrill unter der ehemaligen Zillestube in der Nähe der Weltzeituhr und stärkte mich mit zwei Steaks mit Kräuterbutter und Pommes, alles aus eigener Herstellung.
Außerdem aß ich zur Feier des Tages noch drei Eisbecher in der Mokka Milch Eisbar gleich daneben. Das hört sich habgierig an. Ich kam aber auch aus einer Gegend, wo eine kulinarische Dürre herrschte und hatte den Fraß im Lehrlingswohnheim, wo es fast immer Lungenhaschee oder saure Nierchen gab, wieder vor mir. So nutze ich meinen Trip nach Berlin, um die Reserven aufzuladen.

von Tanja
Ich wurde 1962 in einem kleinen Dorf in Meck Pom geboren und kam mit 19 nach Berlin. Hier übte ich verschiedene Tätigkeiten aus, zuletzt war ich Sekretärin.

Wegbeschreibung
Man verläßt den Ostbahnhof durch den Hinterausgang. Gleich gegenüber sieht man schon das Kaufhaus.