Insel der Jugend

Schönheit auf Schutt und Schilf

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Das mag stimmen. Wie jedoch sieht es aus, wenn mein Unterbewusstsein entscheidet? Erwartungsgemäß war ich in die Insel der Jugend verträumt, mit pulverfeinem Sandstrand, mit paradiesischem Blick auf des türkisfarbene Meer, in dem sich Anemonenfische, Seepferdchen und niedliche Seeigelchen tummeln und mit azurblauem unendlich großem Nichts weit oben über meinem Kopf. Ein eisgekühlter Cocktail mit Zitronenscheibchen am Glasrand, freundlich serviert, wohlige Wärme auf meiner Haut und Hula Hula unter Kokospalmen bei romantisch malerischem Abendrot. Meine Trauminsel nahe bei Kuba gelegen ( Isla de la Juventud ) mit einer Ausdehnung von 2204 Quadratkilometer und die sechstgrößte Insel in der Karibik.
Um acht Uhr klingelte der Wecker. Das Paradies war zwar nicht aus der Welt, aber plötzlich weit weg, zumindest weiter als die gleichnamige Insel der Jugend in Berlin, ein popelig kleines Eiland, das sich zwischen dem Treptower Park und der Halbinsel Stralau, einem ehemaligen Fischerdorf, aus der Spree erhebt. Auf dem Weg dorthin war mir die Karibik noch wie von zarten Händen im Sinn verstrickt, an einem sonnigen Tag kurz nach Winteranfang in der von Lärm geplagten deutschen Hauptstadt. Entgegen meinem Naturell war es ziemlich kalt, doch alleine schon das Sonnenlicht war mir ein Rettungsanker zur Balancierung meines Gemütszustandes, so dass das frostige Klima keinen Frust in mir aufkommen ließ, zumal die Arbeitsverrichtung ja auch kein Wunschkonzert ist, wie man in Deutschland der Meinung zu sein hat. Meine Erwartungshaltung auf Außergewöhnlichkeit und meine Neugierde für Entdeckungen, die mich in Staunen versetzen und begeistern konnten, war mir aus der Kindheit erhalten geblieben und so war ich dann, um im Terminus der Kindheit zu bleiben, gespannt wie ein Flitzebogen, was mir der Besuch der Insel, die ursprünglich gar keine war, mit einer Gesamtfläche von 0,018 Quadratkilometer wohl bieten würde.
Noch im Jahre 1860 war von der späteren Insel kaum etwas zu sehen, nur eine sogenannte „Flache Stelle„ eine Furt in der Spree, die aus Schilfrohrbewuchs entstanden war und deshalb auch Rohrinsel oder Treptower Bruch benannt wurde. Zu dieser Zeit wurde die Rohrinsel von dem Rixdorfer Unternehmer Emil Heinicke gekauft, der den Schilfgrund mit Straßenschutt und Erde auffüllen ließ. Nach seinem tragischen Seglertod auf dem Müggelsee versuchte sein Schwiegersohn vergeblich belgische Fleischkaninchen auf dem Eiland zu züchten. Im Laufe der Jahre wechselte die Insel dann mehrfach den Besitzer, auch der Großgastronom Zenner ließ weiter an der Insel herum werkeln, um sie zu stabilisieren. Zur Gewerbeausstellung 1896 wurde auf der Insel eine Gaststätte im Stile einer schottischen Klosterruine gebaut, die von den Gästen mittels einer kurzen Fahrt mit kleinen Fährbooten besucht werden konnte. Auf dieses Abtei - Restaurant ist der Name Abtei – Insel zurückzuführen. Das Abtei - Restaurant brannte 1914 komplett nieder. Erste Bemühungen für den Bau einer Brücke gab es bereits 1904, aber die Treptower Gastwirte sahen das Abtei – Restaurant als Konkurrenz, und somit verzögerte sich der Bau um einige Jahre, zudem die Treptower die Eingemeindung der Insel verlangten, andererseits aber die Stralauer die Insel als losgerissenes Land ihrer Halbinsel reklamierten. Die Insel war nun zum Steuerobjekt geworden und während sich die beiden Parteien stritten, kaufte die Stadtgemeinde Neukölln 1913 die Insel für eine halbe Million Mark. Treptow und Neukölln wurden 1920 von Berlin eingemeindet. Insel und Brücke gingen später an Treptow über. Am zweiten Brückenturm ist noch heute das Stadtwappen von Neukölln zu sehen. Um die Insel für jedermann zugänglich zu machen, bauten die Neuköllner nun die Abteibrücke, die im Juli 1916 fertig gestellt wurde. Die 70 Meter lange Bogenbrücke aus Stahlbeton war einer der ersten Brücken dieser Art in Deutschland und wurde beidseitig an den Enden in jeweils einen Brückenturm eingespannt, die im Stilelement des Historismus gebaut worden waren. Zudem wurde auf der Insel ein geräumiges Brückenhaus errichtet. In der DDR wurde die Abteiinsel schließlich in Insel der Jugend umbenannt und das Brückenhaus diente als Jugendklubhaus. Im Jahre 2010 übernahm der Verein „Kulturalarm e.V.„ den Betrieb des Jugendklubs und das Gebäude wurde aufwendig renoviert. Der Klubleiter organisierte folgend auf der Insel regelmäßige Kulturveranstaltungen, darunter Musikkonzerte, Partys, Theatervorführungen, Kinderfeste und Kinoabende. Die Betriebsamkeit war den Stralauern jedoch zu laut, so dass es zu behördlichen Auflagen, wie die Einhaltung von Lärmpegeln kam, die fortan beständig überprüft werden und nicht mehr als 75 dB aufweisen dürfen.
Bedächtigen Fußes und mit spähenden Blick lief ich über die Bogenbrücke und war, nachdem ich das Tor durch den inselseitigen Brückenturm durchschritten und freien Blick über das Gelände hatte, wirklich sehr beeindruckt. In Kenntnis über den Untergrund der Insel schien es mir unerklärlich, wie es 25 bis 30 Meter hohe Bäume geschafft hatten, sich dermaßen in den morbiden Boden zu verwurzeln, dass sie Wind und Wetter unbeschadet standhalten konnten. Eine selbst um diese Jahreszeit noch satte grüne ausgedehnte Wiesenfläche von den Bäumen umringt, ließ mich erahnen, dass es hier auf der kleinen Insel in der Spree bei Badehosen - und Bikinitemperaturen bestimmt sehr angenehm sein könnte .
Man kann sich auch Ruderboote mieten, sich im Inselrestaurant die Wampe vollhauen und sich an den Getränkeangeboten gütlich tun. Der Zutritt zur Insel ist kostenlos und bestimmt wird keiner der Inselbesucher es einem krumm nehmen, wenn man im Liegestuhl an der Spree eingenickt und schnarchend von der Karibik träumt.

von MiRi

Wegbeschreibung
S Treptower Park
Treptower Hafen flussaufwärts