Schon mehrmals waren mir in der S- Bahn beim Überqueren der Elsenbrücke die drei Silhouetten aufgefallen, die zwischen den beiden Treptowers und dem Hochhaus einer großen deutschen Versicherungsagentur in der Spree stehen. Im Internet war zu erfahren, dass es sich um eine Skulptur des amerikanischen Bildhauers Jonathan Borofsky handelt. Ein Kunstwerk, bestehend aus drei Männeken, die der Künstler aus Aluminiumplatten geformt und mit zahlreichen großen Löchern versehen hat. Für den Erbauer symbolisieren die Löcher Moleküle, vom Berliner Volksmund werden die drei Figuren einfach Käsemännchen genannt. Am Erstellungsort verbinden sich die drei ehemaligen Berliner Stadtbezirke Treptow, Friedrichshain und Kreuzberg. Außerdem befindet sich das Monumentalwerk an der Schnittstelle der einstigen Teilung in Berlin Ost und Berlin West. Die Skulptur sei zudem ein Symbol für das neu aufstrebende Spreeufer zwischen Elsenbrücke und Oberbaumbrücke. Die Errichtung des Molecul Men, so vom Künstler Borofsky benannt, fand im Rahmen des Gesamtprojektes des Treptower seine Umsetzung und wurde 1998 fertiggestellt.
Soviel Informationen lockten mich dann doch an das Spreeufer, um die Skulptur einmal aus der Nähe zu betrachten. Eine Informationstafel, in deutscher und englischer Sprache verfasst, gibt dann genauer Auskunft darüber, was sich der Künstler bei der Anfertigung seines Werkes gedacht hat.
Mit den drei Figuren, die sich zu einer Gesamtheit vereinigen, erinnert der Künstler daran, „dass sowohl der Mensch als auch die Moleküle in einer Welt der Wahrscheinlichkeiten existieren und dass das Ziel aller kreativen und geistigen Traditionen ist, Ganzheit und Einheit innerhalb der Welt zu finden„.
Donnerwetter, da hat sich der Künstler aber in eine schwindelerregende philosophische Höhe katapultiert, die seinem 30m hohen und 45 Tonnen schweren Kunstwerk auf Anhieb gar nicht anzusehen war. Dass der Mensch, wie du und ich und auch der Künstler in einer Welt der Wahrscheinlichkeit existiert und traditionell zielstrebig der Ganzheit und Einheit molekular entgegen hechelt, machte mich schon ein wenig nervös, da ich bislang davon überzeugt war, dass wir Menschen doch nicht nur wahrscheinlich, sondern tatsächlich mit Pflanzen und Tieren, mit Bergen aus Stein, aus Wüstensand und Eis, mit Ozeanen und Froschtümpeln unausweichlich gemeinschaftlich auf dem Planet Erde festgenagelt sind und selbst über unsere Köpfe hinweg mit Sonne und Mond und inklusive mit der Milchstraße, die nachweislich mit Milch so wenig zu schaffen hat, wie die Löcher des Molecul Men mit imaginären Molekülen. Klappern gehört eben zum Handwerk und offenbar versteht der Künstler etwas davon, da zwei etwas kleiner erschaffene aber identische Molekul Man-Skulpturen aus Aluminium in Los Angeles und Council Bluffs in den USA zu bestaunen sind.
Ein kurzer Rückblick in die lange Geschichte der Aluminiummoleküle, hin zum Kaiser Tiberius, der zwischen 14 – 37 n. Chr. über das römische Reich herrschte, sei hier nur kurz angemerkt. Einem Metallarbeiter wurde in den Palast von Kaiser Tiberius Einlass gewährt, da er dem Kaiser ein metallenes Geschenk überreichen wollte, das wie Silber aussah. Auf Anfrage des Kaisers versicherte der Mann, dass nur er und Jupiter als der oberste Gott aller römischen Götter über das Geheimnis des neuen Metalls Kenntnis habe. Tiberius aber war von Argwohn erfasst, dass das neue Metall den Wert von Gold und Silber schädigen könnte. Diese Geschichte ging für den kreativen und gewiss geschäftstüchtigen Fachmann für Metalle gründlich und folgenschwer schief, weil Tiberius seine Werkstatt zerstören ließ und, Fortschritt hin und Zukunft her, wurde der einfältige Metallkünstler kurzum enthauptet und in den nächsten Jahrhunderten hörte man dann nichts mehr von diesem Metall.
So lag ich dann im satten grünen, frisch geschnittenen Gras am Ufer der Spree, ließ mir die sommerliche Sonne auf die Pelle brennen und konzentrierte mich darauf, an Nichts zu denken, keine Frage zu stellen, keine Antwort zu geben. Auf dem Weg zurück zur S- Bahn war ich rundherum zufrieden. Das Wetter spendete wohlige Wärme, das rostfreie Kunstwerk blitzte im Sonnenlicht und meine Körpermoleküle waren mir wie immer innigst verbunden in Treu und Glauben, dass sie vom bald anstehenden Abendessen ihren Anteil erhalten würden.
Bei unserem gemeinsamen Schlemmen von wertvollem Rinderragout einer einst glücklichen Ökokuh fand ich meinen Ausflug zum Molecul Men gelungen. Es war rundherum einfach eine sehenswerte Bildkomposition, die in der Großstadt Berlin seinesgleichen sucht. Die trockenen Fußes stehende wuchtige Aluminiumskulptur im Vordergrund, dahinter die im neugotischen Stil errichtete Oberbaumbrücke und ganz im Hintergrund streckt sich mit seiner blitzblanken Aussichtskugel der Berliner Fernsehturm in den Himmel. Ein wirklich schönes Fotomotiv, wenn die Wettergötter gnädig gestimmt sind.
von MiRi
Wegbeschreibung
S Treptower Park – dann etwa 5 Minuten laufen.
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