Es sind immer Menschen, die über zwischenstaatliche Verhältnisse, über Völkerverständigung, über Weh und Ach und Krieg und Frieden entscheiden. Wunderschöne oder heroische Bauwerke sind dafür Erinnerung und Sinnbild von humanistischer Entwicklung oder Ausdruck menschlicher Unzulänglichkeit, aber sie geben wichtige Hinweise für die nächstfolgende Generation. Sei es nun ein Bauwerk wie das Taj Mahal, das der indische Großmogul Shaj Jahan nach dem Tode seiner geliebten Frau Mumtaz i Mahal 1631 errichten ließ und weltweit ein Symbol von großer Liebe und Schmerz darstellt, oder dieses sowjetische Ehrenmal im Treptower Park, dieser Friedhof für mehr als 7000 sowjetischen Soldaten, die während des Kampfes um Berlin gefallen waren und zu deren Gedenken, ihrem Heldenmut und der Grausamkeit des Krieges dieses Mahnmal erbaut wurde. Die Zeiten ändern sich, denn genau an dieser Stelle befand sich zur deutschen Kaiserzeit eine große Kinderspielwiese, auf der, ausgenommen kleineren Scharmützeln, zwischen den Kindern ein friedliches Miteinander seinen moralischen und gesellschaftspolitischen Stellenwert präsentierte.
Auf dem Weg im Spazierschritt an der Spree entlang zum weltweit größten sowjetischen Ehrenmal außerhalb der ehemaligen Sowjetunion gehen mir all diese Gedanken durch den Kopf.
Der deutsche Angriff auf Polen am 1.Sept.1939, der den zweiten Weltkrieg auslöste; dass auf polnischem Hoheitsgebiet während des Krieges 37 nationalsozialistische Konzentrationslager installiert wurden, darunter die Vernichtungslager Auschwitz Birkenau, Bergen Belsen, Buchenwald, Dachau, Majdanek, Mauthausen, Sobibor und Treblinka, in denen mehr als drei Millionen Menschen in industrieller Organisationsform vergast oder durch Massenerschießungen ermordet wurden...
Ich denke an Willy Brandt, den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland von 1969 bis 1974, der am 7.12.1970 in Warschau bei der Kranzniederlegung am Ehrenmahl für die Toten des Warschauer Ghettos auf die Knie gefallen war. Eine Demutsgeste mit der Bitte um Vergebung für die deutschen Kriegsverbrechen und ein Symbol für den Beginn einer neuen deutschen Ostpolitik. Nach der Kranzniederlegung wurden zwischen der BRD und Polen die Ostverträge unterzeichnet. Im Medienecho der bundesdeutschen Presse war der Kniefall des Kanzlers erbittert umstritten, aber nicht für mich und auch nicht für das fünfköpfige Nobelpreiskomitee in Oslo, das Willy Brand aufgrund seiner behutsamen Annäherungs und Versöhnungspolitik unter 39 Kandidaten am 10.12.1971 den Friedensnobelpreis zuerkannte. Eine große, fast unglaubliche Ehre nur 26 Jahre nach der zweiten, wieder von Deutschland ausgelösten großen Menschenschlacht, mit diesmal über 60 Millionen Toten, davon alleine circa 32 Millionen Sowjetbürger und 2,7 Millionen deutsche Soldaten. Dieser Krieg gilt wegen seiner verbrecherischen Ziele allgemein als der ungeheuerlichste Eroberungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Geschichte der Menschheit kennt. Ich hatte diesen Kanzler verstanden und erst recht, als ich viele Jahre später die leidgeprüften Länder Vietnam und Kambodscha bereiste und mich seiner politischen Philosophie erinnerte.
„Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.„
Immer näher komme ich der letzten Ruhestätte von mehr als 7000 Sowjetsoldaten, die im großen vaterländischen Krieg gegen Hitlerdeutschland, wie ihn Stalin proklamiert hatte, gefallen waren.
Der Krieg, er setzt sich in meinem Kopf fest und irgendwie ist mir dabei, als ob es das Beste sei, darüber zu schweigen, auf die Knie zu fallen und verständnislos mit dem Kopf zu schütteln. Aber das Leben fordert meinen aufrechten Gang ein, es hat mir eine Stimme gegeben, um meine Meinung zu äußern und gewiss haben mich meine Eltern mit all ihrer Lebenserfahrung nicht jahrelang durchgefüttert, damit ich wie ein verängstigtes Mäuschen aus einem kühlen dunklen Kellerloch heraus misstrauisch die Welt beäuge. Nein. Sie haben mit mir "Engelchen flieg" gespielt, das machte Spaß und die Welt war gut.
Auch wenn es von der Fährstation am Baumschulenweg und an der Spree weiter entlang am Plänterwald vorüber nur wenige Kilometer bis zum Ehrenmal waren, kam es mir vor, als ob ich an einer Endgültigkeit, an einem Ende angekommen sei, dass so gar nicht in das Schemata meiner Wanderungen passte, die ich in meinen Weltreisen durchlebt hatte. Jetzt bloß nicht schlapp machen, dachte ich bei mir und kam auf einem Steinquader sitzend bald wieder ins Gleichgewicht, um mich meiner aufgetragenen Arbeit zu widmen.
Da stehe ich nun im Ehrenmal an der von der Sonne bestrahlten steinernen Statue von
„Mutter Heimat„ und beende meinen Kriegsschauplatz, mein Schlachtfeld in meinem Kopf mit der historischen Tatsache, dass in der Menschheitsgeschichte circa 14.400 Kriege stattgefunden haben, denen ungefähr 3,5 Milliarden Menschen zum Opfer gefallen sind. Da bisher etwa 100 Milliarden Menschen auf der Erde gelebt haben, würde dies bedeuten, dass jeder dreißigste Mensch sein Leben durch kriegerische Handlungen lassen musste. Allein die 100 größten Kriege der Weltgeschichte forderten etwa 480 Millionen Todesopfer.
Mein erster Eindruck vom Gesamtgelände war, dass alles exakt gerade in Symmetrie stand, scharfkantig und zackig wie beim Militär, selbst die vielen angepflanzten Bäume wirkten irgendwie unnatürlich in Reihe und Glied postiert, alles schien einer strengen Gehorsamkeit untergeordnet zu sein, die keine Regung duldet, alles war wie von Totenstarre erfasst, versteinert und leblos. Mittig wird das etwa 10 Hektar große Areal von zwei wuchtigen und 40.000 Tonnen schweren, als Sowjetfahnen stilisierten Wänden aus rotem Granit, durchtrennt, an deren Sockeln jeweils ein Rotarmist mit gesenktem Kopf und Maschinengewehr an seiner Seite kniet. An den zwei Seitenwegen der östlichen Anlage befinden sich jeweils acht Sarkophage, an denen Reliefs zum großen Vaterländischen Krieg und Zitate von Stalin zu sehen sind. Auf den äußeren Seitenwegen und den fünf begrünten quadratischen Flächen in der Mittelachse der Hauptanlage, die jeweils mit einem metallenen Ehrenkranz versehen wurden, sind die gefallenen Sowjetsoldaten bestattet worden.
Hauptelement des Ehrenmals ist ein kegelförmig begrünter Erdhügel von neun Meter Höhe und 62 Meter Durchmesser. Darauf befindet sich ein steinerner Sockel, in dem ein Mausoleum eingerichtet wurde und oberhalb des Mausoleum ragt die 13 Meter hohe und 70 Tonnen schwere dunkle Bronzestatue auf. Ein sowjetischer "Befreier-Soldat" in Uniform und Mantel, der seinen Stiefel auf ein zerstörtes Hakenkreuz stellt. In der rechten Hand hält er ein mächtiges Schwert und auf seinem linken Unterarm sitzt ein kleines Mädchen, das sich an die Schulter des Soldaten schmiegt. Ein wenig Versöhnlichkeit machte sich, gemessen an der unerbittlichen Ordnung des Mahnmals, beim Anblick dieser Statue dann doch in mir breit. Ein kleines Mädchen war geborgen und in Sicherheit, der Soldat bot Schutz und Hoffnung und Zukunft. Gleichzeitig aber musste ich auch erkennen, wie dicht die Grenzlinie zwischen Humanität und Barbarei, zwischen Herzlichkeit und tödlicher Disziplin dargestellt war. Sollten diese Kontraste vom Bildhauer und Stalin-Preisträger General J.W. Wutschetitsch und des Architekten der Anlage, General J.B. Belopolski augenscheinlich so beabsichtigt geschaffen worden sein, so ist ihnen das große Werk gelungen.
Der Eintritt zum Ehrenmal ist kostenlos. Der große "Befreier-Soldat" ist wegen des Sonnenlaufes nur schwerlich zu fotografieren.
von MiRi
Wegbeschreibung
S Treptower Park
Ausgang Stadtauswärts links, Puschkinallee
etwa 5 Minuten Fußweg
© Lieblingsorte, Kulturring in Berlin e. V. | Datenschutz