Die Trambahn 68

Von Grünau nach Schmöckwitz

Auf der Anreise nach Grünau öffnet sich ein Zeitfenster in mir, lange 55 Jahre her, aus Frankfurt am Main, meiner Heimatstadt, wo ich geboren bin. Da stehe ich als Dreikäsehoch im Winter an der Straßenbahnhaltestelle, um meinen Vater zu begrüßen, der mit der Trambahn von der Arbeit kommt. Da sehe ich sie auch schon, wie sie mit den Eisenrädern quietschend um die Ecke rumpelt und zu meiner Freude, wieder ihr Feuerwerk abbrennt, trotz eisiger Kälte. Der Fahrdraht der Oberleitung und der Stromabnehmer der Zugmaschine sind nass und teils vereist, so dass es zwischen den elektrischen Kontakten knackig bitzelt und riesige Funken in alle Richtungen spritzen. Einfach toll, fast wie Sylvester. In der alten Trambahn hatte ich auch stets einen festen Platz genau hinter dem Fahrer, der teilweise nur mit einem braunen schweren Vorhang hinter sich verhüllt war, der mich aber nicht daran hinderte, ihn unbemerkt etwas zur Seite zu schieben, um den Fahrer mit dem großen Knackerad für die Geschwindigkeitsregelung und die bunten Signallichter am Armaturenbrett zu bestaunen. Eine schöne Straßenbahn, mit einer Empore für den Hauptschaffner im Triebwagen, mit den glatten und glänzenden Holzbänken, den nackten Glühbirnen, die mit gelblichen Lichtschein an der Decke baumelten, mit den Messinggriffen der Türen, die man auch während der Fahrt selbsttätig öffnen und schließen konnte, und nicht zu vergessen, dem zweiten Schaffner für die angehängten Waggons, mit seinem tollen Holzkasten für die Fahrscheine, die von ihm persönlich mit einem Zeitstempel versehen wurden und der Ausgabe des Wechselgeldes, das er aus einer Kasse bestehend aus fünf Metallröhren abdrückte. Diese Waggonschaffner hatten es nicht leicht mit uns flinken Buben, die sich zur Verärgerung des Schaffners einen riesigen Spaß daraus machten, von einem zum anderen Anhänger zu hüpfen, um den Fahrpreis zu prellen, den wir lieber in leckere Süßigkeiten umsetzten.
Ich machte mir keine Gedanken darum, ob die Linie 68 wohl eine ähnlich schöne Straßenbahn sei, denn allein schon aus Sicherheitsgründen müssten die Türen während der Fahrt verriegelt sein. Bald war ich angekommen am S- Bahnhof Grünau, einem Ortsteil im Bezirk Treptow-Köpenick, bekannt für sein Strandbad und der Regattastrecke an der Dahme, einem 95 km langen Nebenfluss der Spree. Auch Theodor Fontane beschrieb in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg „die idyllische Lage von Grünau“. Wie erwartet empfing mich die Tram 68 als moderne Straßenbahn, machte aber nichts, denn es ging ja um die Strecke und nicht um die Trambahn, die sich bald in Bewegung setzte und nach rechts in die Regattastraße einfuhr und wenig später zur Sportpromenade im Grünauer Forst wurde. Zur Rechten ein Waldrand, zur linken Seite nur unweit die Dahme, die Schienen in Gras eingebettet, ging es dann vorbei am Grünauer Wassersportmuseum mit der betagten Zuschauertribühne, an Vereinshäusern von Ruderern oder Sportfischern, am Olympiastützpunkt, an Bootsverleihen und Biergärten. Schade, dass man nur an wenigen Stellen zum Dahmeufer laufen kann.
Der Ausstieg an der Haltestelle „Richtershorn„ bietet ein besonderes Schmankerl für Ortsunkundige, dessen Sinn mir nicht so ganz zugänglich ist. Eigentlich ist es unfair, hier zu offenbaren, sorry, aber ich kann da nur schwer an mich halten. Auf der rechten Seite der Haltestelle sieht man zwei hölzerne Hinweispfeile mit der Aufschrift „Irrgarten“, die in den Wald hinein gerichtet sind. Einige Kilometer bin ich also durch den Wald gestapft, habe aber keinen Irrgarten gefunden. Im Internet werde ich darüber informiert, dass ich zur linken Seite zu laufen habe, um den Viertelstunden – Bogen um die Bammelecke abzulaufen und so würde ich automatisch wieder auf den Hauptweg und zur Haltestelle Richtershorn gelangen. Kein Wort aber davon, wo denn nun der Irrgarten sei, was mich doch ein wenig verwirrt und den Gedanken in mir aufkommen ließ, dass die bewusst ausgelöste Orientierungslosigkeit des Suchenden eventuell der Irrgarten sei. Den Sensibelchen unter den Irrläufern kann ich aber versichern, dass sie nur wieder in die Tramlinie 68 einsteigen müssen, die dann zielorientiert und fahrplanmäßig am Karolinenhof vorbei nach Schmöckwitz weiterfährt. Schmöckwitz ist die südlichste Ortschaft des Bezirks Treptow- Köpenick und somit von ganz Berlin.
Schmöckwitz nun ist eine schnuckelige Ortschaft mit ländlichem Idyll und befindet sich direkt am „Zeuthener See“, dessen Mitte den Grenzverlauf von Berlin und Brandenburg markiert. Für Wanderer und Naturfreunde bietet Schmöckwitz, zwischen Seen und Wäldern eingebettet, gewiss eine Findung nach der Suche, also eine ganz andere Gefühlslage, als weder links noch rechts der Haltestelle Richtershorn. Ich kann die Trambahnstrecke der Linie 68 wirklich empfehlen, da es viel zu sehen gibt, besonders wenn man hin und wieder bei einigen Haltestellen einfach mal aussteigt und die Umgebung erkundet.

von M. R.

Wegbeschreibung
S-Grünau bis Alt-Schmöckwitz